Sunday, November 02, 2008

Lagerkoller in Bayern

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Hier sitz ich nun im Army Camp Hohenfels und beobachte mich und meine Umwelt dabei wie sie den Verstand verlieren. Es ist dunkel in meinem Zimmer, der schwere, erkaltende Rauch meiner Mitbewohner hängt in der nur von Bauzäunen und Makeshift-Pappwänden durchtrennten Luft. Ich sitze in einer Ecke auf einem Dopppelstockbett, mein Boss, der „Don“ schaut wie jeden abend einen Film zum einschlafen auf seinem Laptop, und schafft es nie bis zum Ende. Ich weiß nicht den wievielten Versuch er jetzt startet, aber wie jeden abend leuchtet sein Bildschirm grell in sein schläfriges Gesicht, das mich fast ein wenig an Devlin erinnert. Der zweite Mann, ein quirlig drahtiger Sachse mit Bierbauchansatz ist zur Nachschicht, Kartoffeln schälen und aufwaschen die ganze Nacht bis 6 Uhr früh im kalten West-camp weit draußen in der wildnis und fern ab den Baracken. Die Nachtschicht kümmert ihn nicht, das Army-camp ist kein Problem da er als Bühnenbauer daran gewöhnt ist wochenlang von zu hause, Frau und Kindern weg zu sein. 18h arbeit am tag sind auch normal. Mein dritter Mitbewohner, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat legt sich gerade zur Ruhe und wird wahrscheinlich im finsteren seine Kleidung wieder streng und ordentlich auf seinem Stuhl zusammenfalten, auf dem sie dann darauf wartet in 6 Stunden wieder entfaltet und zur Frühschicht angezogen zu werden. Er ist Tankerfahrer und fest angestellt, einer von wenigen nicht Selbstständigen hier, und nur einer unter vielen Freaks. Wie „Don“ ist auch er über 30, verheiratet, hat Kinder. Im Dunkeln sehe ich seine Zigarette glimmen und der Rauch beißt meine Augen, und das obwohl die Fenster offen sind. Die Heizung ist es auch, die Army wird’s schon zahlen.
Nur etwa 5cm neben, nur durch eine Pappwand am Bauzaun und etwas schwarzen Stoff von mir getrennt, schnarcht ein wahrscheinlich fetter und hässlicher Nazi. Oder irgendein anderer Idiot. Ich habe ihn noch nie gesehen, sein grunzen und schnorcheln raubt mir aber jede Nacht die Ruhe und deshalb hasse ich ihn, auch wenn ich ihn tagsüber reden höre kommt keine Sympatie auf. Wenn man genau hinhört kann man verschiedene Leute an ihrem schnarchen wieder erkennen, jeder röchelt auf eine andere weise vor sich hin, gurgelt oder schnieft durch die rauchgeschwängerte Nacht in Baracke 1115 im Army camp, Hohenfels. Man hört hier jeden atmen, reden, oder eben schnarchen. Dazwischen dann Handys und Wecker, gearbeitet wird immerhin in 3 schichten rund um die Uhr.
Offiziell ist dies hier amerikanischer Boden, seit dem 2. Weltkrieg. Davor war es ein Trainingsgelände für Hitlers Militärmaschine. Nun fahren hier die Briten, Australier und Amerikaner, manchmal auch Afghanen oder wer auch immer hier ein Training gemietet hat in ihren Jeeps und Panzern auf und ab.. Unsere britischen Freunde tragen bereits ihre neuen Wüstenuniformen, denn ihr nächster Stopp ist der Irak. Schon komisch, man arbeitet da in der Küche, als Tellerwäscher (wiedermal, so war das nicht gedacht, eigentlich sollte es doch aufwärts gehen!) und schaut jeden abend in die sich hungrig an der Essenausgabe aufreihenden Soldatengesichter. Und irgendwie sieht man eine Mischung aus Volksstrum und Boy-Scout camp. Die ersten in der Reihe können nicht älter als 18 sein, kaum aus der Schule geht’s ab in die Wüste. Erstaunlich sind auch die zahlreichen Frauen, jung und meist nicht einmal besonders schön. Einige Veteranen sind auch dabei, und ein paar Schwarze. Die Leute in der Küche sind genauso bunt zusammengewürfelt, unsere Köche sind 2 Veteranen mit Wanne, denn beim ständigen kosten muss ja mal was hängen bleiben, dazu zwei sanftmütig-kräftig aussehende Schwarze, ein kleiner weißer mit Brille der einen irendwie an einen Bieber erinnert und einen etwas schwammig geratenen College boy, den ich in Gedanken Babyface getauft habe. Sie alle kochen, backen, braten und verschmutzen die Küche in Baracke 1166 nach Leibeskräften, jeden tag. Das essen ist jedoch erstaunlich gut, immer gibt es frisches Gemüse, Kartoffeln werden von der Nachtschicht immer geschält, Fleisch direkt vom Knochen gelöst, und der Rest irgendwie aus Instant Gewürzen und Pulvern zusammengerührt und gekocht. Mensa Qualität hat das hier allemal und die Auswahl ist auch größer.
Eine Mensa haben die meisten der hier angesellten KPs (Kitchen Personnel) jedoch noch nicht gesehen. Ein Student ist eine Abnormalität, oder einfach was Komsches, den ein so komplizieres Wort wie Abnormalität darf man hier nicht benutzen. Neben den ausgebildeten Köchen die teilweise nur als Servicekräfte hier arbeiten ist der Rest der Freiberufler hier in etwa das was anderswo als Abschaum verschmäht hat. Magdeburg scheint dabei ein Sammelbecken für Asoziale zu sein, den von dort fließt ein ständiger Strom Ausschuss gen Süden um dann hier im Camp hängen zu bleiben, fernab der Zivilisation. Man fragt sich immer wo all diese Freaks, die Verrückten, Kaputten, und in der Gesellschaft gescheiterten so ihr Geld verdienen, wo sie hausen und wie sie aussehen…nun hier in Hohenfels ist eine beachtenswerte Anzahl Degenerierter hängen geblieben, das steht fest. Heinz Dummbolzen, der Schläger aus der 2. Klasse der damals schon sitzen blieb arbeitet bestimmt auch hier.
Einer der Gehirnakrobaten hat es letztens geschafft sich vor seiner schicht so lange mit Vodka zuzuschütten dass er pünktlich zu Arbeitsbeginn in seine Baracke gekotzt hat. Daraufhin sollte er nach hause geschickt werden, durfte aber dann bleiben, da die arbeitsfähigen Leute eben doch knapp sind und nicht jeder hier Doppelschichten schieben möchte.
Die meisten begrüßen Doppelschichten, denn ausser arbeit, schnarchen, rauchen und saufen gibt es hier nicht viel zu tun. In unserer Papphütte ist man zwar etwas kultivierter, da wird der Schnaps noch selbst angesetzt, öfters am Nachmittag mal zu Kaffee und Kuchen geladen oder sogar mal ein Trip in ein Restaurant organisiert. Ansonsten passiert aber nicht viel; computerspielen, schlafen, Wäsche waschen lassen, Essen aus der Küche mitgehen lassen, auch Messer, Schäler etc. Alles was nicht niet und nagelfest ist findet seinen weg in diese Baracken. Was soll man auch sonst tun, zu den Soldaten gibt es keinen Kontakt, die leben zwar direkt nebenan in den gleichen Bararcken, haben aber ganz andere sorgen. Wie ihre drills und sinnlosen angriffe. Mehrmals am tag heult und dröhnt es, booom, boooom weeeeeeehhhhhoooooo boooooom weeeeeeeehhhhhhooooooo INCOMING INCOMING INCOMING booooom wehhoooo und alle diensthabenden Heimatverteidiger schmeißen sich auf den Boden oder kriechen in Deckung, da kann das essen auf dem Teller auch mal kalt werden oder die Suppe anbrennen, wenn der Feind (in diesem fall ein angestellter, der von einem Hummer aus falsche Granaten zwischen die Baracken feuert) kommt, ist alles stehen und liegen zu lassen. 10 Minuten später ist das essen kalt oder angebrannt, die unter Beschuss gekommenen hören die entwarnende sirene und ein blechernes weeeeehhhoooo ALL CLEAR; ALL CLEAR! Weehoooo und kommen aus der versenkung hervor. Dazwischen rüttelt immer wieder mal ein Helikopter oder ein Tieffliegender Jet das Lager wach, in den oktoberbunten Wäldern bellen Maschienengewehre mit gelben Platzpartonenmagazinen dem schwindenen Sommer oder vielleicht auch dem erdachten Feind hinterher, manchmal sogar den extra angestellten falschen turbantragenden Terroristen.
So kommen und gehen die tage, der Stumpfsinn kriecht durch die Baracken und nach bereits fünf tagen kann man sich nicht mehr vorstellen, das irgendwo da hinter dem Wald, nur wenige Kilometer vor den Toren des 40 mal 60 km großen „Naturschutzparkes“ tatsächlich noch ganz normale Menschen, bunt gekleidet zur arbeit gehen. Die Normalität ist ein langsam verblassender Traum du das nach nur einer Woche im Lager, das bei Nebel oder auch bei Nacht ein wenig an Buchenwald zu erinnern versucht. Dazu trägt vor allem der nach innen überhängende und mit Stacheldraht versehene Zaun um die Gelände bei, auch die Baracken und die spärliche Nachtbeleuchung wirken da mit. Und letztendlich versammelt sich auch hier alles was die moderne Gesellschaft eigentlich nicht sehen oder wahrhaben möchte. Fast wie damals. Die Verlierer, die kaputten, hart arbeitenden, primitiven und dennoch wieder normalen. Für die meisten ist dies ein Lebensunterhalt, Soldat oder KP, alle sind Freaks und doch auch nur des Geldes wegen und nicht wirklich gegen ihren willen. Kinder und Frauen wollen ernährt werden und vermissen ihre Väter, manchmal auch Mütter und Ehegatten, doch ihnen allen wird allabendlich im schein der kerosinbetriebenen Lampen am Telefon in allen Sprachen der Welt versichert: Bald bin ich wieder zuhause. Keine Sorge, alles wird gut. Ich liebe dich auch.
Für die einen endet der Zirkus vielleicht nach 3 Wochen, die andern gehen in die nächste runde, ob hier oder in einem anderen camp, ob Grafenwöhrl, Hohenfels, Bagdad oder Afghanistan spielt keine Rolle. Wahrscheinlich sind die Soldaten besser dran, denn sie gehen weiter und bleiben nicht hier stecken, andere arbeiten hier seit Jahren, leben in diesen Baracken fast das ganze Jahr.
Soldat oder KP, das spiel ist immer das gleiche und die Monotonie des Unterfangens wird nur durch die Sinnlosigkeit übertroffen. Steuerzahler aller Länder, vereinigt euch und schaut was aus euren Abgaben wird. Sie brennen tagtäglich zur Stromerzeugung und fließen als Wasser durch die Abflüsse der Großküchen, gehen ungegessen, verbrannt, verkocht oder einfach unerwünscht meist oft direkt in den Container. Oder sie verpuffen im Feuerwerk der Boyscouts. Werden durch Auspüffe geblasen oder vom Jetstream durch die Luft gewirbelt. Vielleicht steckt sie auch so ein Dummblzen aus Magdeburg ein und kauft sich einen Kasten Bier davon. Einen sinn kann das nicht haben.
Peace
-k

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